sz Siegen. Die Ausstellung von
Siegener Fotos von Dr. Wilhelm Weyer im Oberen Schloss, die in der Nachkriegszeit entstanden, haben eine große Resonanz ausgelöst, so dass die Präsentation der Aufnahmen bis zum 24. September verlängert wurde (die SZ berichtete). Dr. Weyer war als Ostvertriebener von der Oberschule für Jungen in Sprottau gekommen und am Siegener Jungengymnasium am 6. November 1946 in eine Planstelle eingewiesen worden. Er erteilte Unterricht vornehmlich in den Fächern Deutsch und Geschichte. Ehrenamtlich fungierte er als Leiter des Siegerland-Museums. 1956 wurde er pensioniert und stellte sich aushilfsweise noch bis 1957 zur Verfügung, ehe er seinen Ruhestand in Utting am Ammersee verlebte.
Dr. Weyer pflegte sich jeweils auf dem Pult, einem umfunktionierten Tisch, niederzulassen und stellte die Frage: „Wer bringt die Stunde in Gang?" Er bezeichne- |
te sich selbst als „Kutscher", der nur noch die Zügel bedienen müsse, um im Unterricht für die richtige Marschroute zu sorgen. Er blickte dabei durch das glaslose Oberteil seiner Brille und wartete gespannt darauf, wie es denn nun weiterging. Doch seine Schüler reagierten meist wenig ideenreich, so dass Dr. Weyer dann doch wieder gefordert war.
Als Klassenlehrer hatte er sich auch mit den Fahrten zu befassen, die in der Unter- und Oberprima auf dem Programm standen. In jenen Tagen wurden Ziele angesteuert, die vornehmlich mit der Bahn zu erreichen waren. Um möglichst viele Sehenswürdigkeiten anfahren zu können, schickte er seine Unterprimaner mit dem Fahrrad auf Reisen in Richtung Fulda. Jeder Gymnasiast erhielt ein Referat, um vor Ort Erklärungen abgeben zu können. Dr.
Weyer, mittlerweile über 60 Jahre alt, traute sich die „Hessenrundfahrt" auf dem Rad nicht mehr zu. Er wurde Sozius auf |
dem Motorrad eines Schülers, der sich königlich darüber freute, nicht auf einem Drahtesel strampeln zu müssen. Damit die Schüler jedoch bei ihrer Radtour nicht unbeaufsichtigt blieben, fuhr ein sportlicher Kollege aus dem Kollegium im Peloton mit. Übernachtet wurde jeweils in Jugendherbergen. Dr. Weyer bemühte sich im Deutschunterricht vor allem darum, seine Schützlinge stilistisch fit zu machen. Grauen löste bei ihm die „Hauptwörterkrankheit" aus, von der alle, die infiziert waren, die ein Schauspiel zur Aufführung gelangen ließen, statt schlicht von aufführen zu sprechen. Wer ungenau und wenig überzeugend argumentierte, dem bescheinigte er, eine „Hülse" abgeliefert zu haben.
Die Erziehung zu geschliffener Ausdrucksweise kam den Gymnasiasten zugute. Mehrere wurden Hochschulprofessoren, einer General bei der Bundeswehr, andere Pädagogen, Juristen oder Mediziner. |