Wilhelm
W E Y E R

Artikel
aus:
Siegener Zeitung, Jg. 108, Nr. 3 vom 04.01.1930

Roſa Achenbach, Weidenau,
geſtorben am 4. Juli 1929.

von Dr. (Wilhelm) Weyer


Foto R. Weyer: Rosa-Achenbach-Straße, Weidenau

Vorbemerkung: Der folgende Nachruf ist Ende November geschrieben und sollte Ende Januar mit noch anderen in einem Heft des 12. Bandes des „Siegerland, Zeitschrift des Vereins für Heimatkunde und Heimatschutz im Siegerland samt Nachbargebieten“ erscheinen. Die in der Nachschrift beleuchteten Verhältnisse nötigen uns aber, ihn schon jetzt an dieser Stelle der Öffentlichkeit zu übergeben.

Es ist eine schöne Sitte des „Siegerland“, am Schlusse des Jahres bedeutender Siegerländer zu gedenken, die zur großen Armee abberufen worden sind. Wir wollen nun gewiß Rosa Achenbach aus Weidenau nicht eine Bedeutung in dem hier üblichen Sinne zusprechen, aber wir halten es doch für angebracht, auch ihr einen Nachruf zu widmen, einmal weil mit ihr und ihrer Familie ein Stück von Alt-Weidenau dahingegangen ist und zum anderen, weil das Aussterben dieser Familie für die Gemeinde Weidenau Folgen gehabt hat, die eine Würdigung dieser Familie rechtfertigen.
Rosa Achenbach wurde am 6. August 1864 ihren Eltern Friedrich und Friederike Achenbach (geb. Achenbach) geboren. Die Mutter, die ihr Leben lang kränkelte, war die zweite Frau Achenbachs. Rosa blieb, nachdem eine Schwester früh gestorben war, das einzige Kind. Friedrich Achenbach war vor seiner Militärzeit aus Buschhütten zu einer alleinstehenden Tante nach Weidenau gekommen, um die Bewirtschaftung ihres Anwesens zu leiten. Es fiel ihm als Besitz nach deren Tode zu.
In ernstem Streben gelang es dem tüchtigen Manne, das Anwesen zu verbessern und zu vergrößern, das bei seinem Tode aus einem großen geschlossenen Gebiet hinter seinem Hause, Siegstraße 74, dem sogenannten Kampen, und aus einer Anzahl wertvoller, in der Feldflur Weidenaus gelegener Grundstücke bestand. Achenbach besaß ferner beträchtliche Anteile an der Grube Neue Hardt und an der Alten Hütte vor der Hardt. Diese wurde zu seiner Zeit noch in der Form der Hüttenzeit von den einzelnen Besitzern bewirtschaftet. Später ging man zum gemeinsamen Betrieb über. So war Achenbach Gewerke und Bauer zugleich. Seine Landwirtschaft wird als mustergültig gerühmt. Er hatte die saubersten Kühe und die besten Geräte, seine Wiesen und Felder pflegte er mit allen damals zu Gebote stehenden Mitteln. Nur peinlich genaue Arbeit befriedigte ihn. Es war ein Genuß, durch seine Flur zu gehen, an den gleichmäßig gemähten Wiesen und an dem sauberen Kornschnitt die Akkuratesse des Siegerländer Landwirtes zu beobachten. Dienstboten und Tagelöhner hielten sich trotz dieser hohen Anforderungen

an ihre Arbeit lange bei dem vorbildlichen Manne, der der Meinung war, daß, wer reich sei, auch reich bleiben, und wer arm sei, arm bleiben müsse, ein Standpunkt, der sich aus seiner durch eigene Kraft gefestigten Wohlhabenheit erklärt. Er besaß Sinn für alles Praktische und Schöne in Haus und Garten. Sein Wohnhaus gestaltete er nach und nachzu einem Schmuckkästchen. Um 1880 war es noch ein regelrechtes Siegerländer Bauernhaus, rechts vom Eingang der auf der Giebelseite liegt, und der großen Diele der Stall, links die Wohnräume; dann richtete Achenbach den Stall in einem Nebengebäude ein und ließ das schöne Ziergärtchen anlegen, das zusammen mit dem inneren Ausbau das Bauernhaus zu einem der schönsten Patrizierhäuser Alt-Weidenaus machte, dessen vornehme Wohnlichkeit allen Besuchern auffiel.
Für die ältere Generation der Weidenauer verbinden sich mit dem Achenbachschen Besitze hinter dem Hause sehr schöne Jugenderinnerungen. Die Auschule feierte alljährlich im Kampen das Sedanfest. Achenbach stellte daselbst seine Wiese zur Verfügung und sorgte stets dafür, daß die Grummeternte Am Festtage zu Ende war. Die Sedanfeste im Kampen wurden zu Volksfesten im besten Sinne des Wortes; denn aus ganz Weidenau, nicht nur aus dem Schulbezirk der Auschule, kamen die Erwachsenen und die Kinder, umsäumten den Festplatz und feierten mit den Schülern. Ein großer Leiterwagen Achenbachs diente der Musikkapelle als Bühne. Auch die Gedichte der Kinder und die Festrede des Lehrers wurden von diesem Standort aus vorgetragen. Dem ernsten Teil der Feier schlossen sich die üblichen Belustigungen der Jugend an, Bewirtung mit Butterwecken, Sachlaufen, Stangenklettern, und am Schluß ließ man Achenbach hochleben als denjenigen, der den herrlichen Festplatz bereitet hatte.
Die einzige Erholung, die sich Friedrich Achenbach gönnte, bestand darin, daß er sich alltäglich gegen Abend für ein bis zwei Stunden zum „Weisen Rat“ einfand. Das war eine Zusammenkunft einflussreicher Weidenauer Bürger in der ehemaligen Wirtschaft (jetzt Bäckerei und Handlung) Börner in der Siegstraße. Es gehörten dazu der alte Fick aus Buschgotthardtshütten, der alte Sarz aus Fickenhütten, Hermann Hüttenhain, Heinrich Jung, der alte Giebeler, der alte Steifen, Hauptlehrer Spies, der alte Schleifenbaum und Friedrich Wilhelm Schnutz. (Sie seien hier so genannt, wie sie im Volksmunde leben!) Mit allen Fragen, welche die Gemeinde angingen, aber auch mit solchen allgemeiner kultureller Art beschäftigte sich die Versammlung erfahrener Männer. Ihre Unterhaltung bewegte sich, wie von Teilnehmern versichert wird, auf beträchtlicher Höhe.
Und da in diesem Rate die Politiker Weidenaus saßen, heißt der im Siegtal gelegene Teil der Gemeinde Weidenau noch heute „die politische Seite“.
1907 ist Friedrich Achenbach gestorben, nachdem ihm seine Frau 1903 im Tode vorausgegangen war. Rosa Achenbach hat ihren Vater um 22 Jahre überlebt. Auf ihre glückliche, von den Eltern umhegte Jugend ist ein hartes Alter gefolgt. Die Eltern hatten ihr „Roselchen“ wie ihren Augapfel behütet. Eine gute Erziehung sowie eine glückliche Veranlagung haben es davor behütet, den oft beobachteten Fehlern und Schwächen des einzigen Kindes begüterter Eltern zu verfallen. Alle, die Rosa Achenbach haben aufwachsen sehen, bezeugen, daß sie stets ein liebes, artiges Mädchen gewesen ist, das seinen Eltern nur Freude gemacht hat. Der Schreiber dieser Zeilen hat sie als fast Sechzigjährige kennen gelernt und war einige Jahre ihr Hausgenosse. Er hat immer wieder erfahren, daß eine edle starke Seele in ihr wohnte. Zu heiraten hatte sie verschmäht, da es ihr nicht lag, sich unter den Willen eines Mannes zu beugen. So stand sie im Alter allein und war den Schwierigkeiten, die die Verwaltung ihres großen Grundbesitzes bereitete, nicht mehr gewachsen. Mit bewundernswerter Größe ertrug sie den durch die Inflation herbeigeführten Verlust ihres gesamten Barvermögens. Nie hat man sie klagen oder murren hören. Sie hielt es für selbstverständlich, nun mit eigener Arbeit diesem Verluste zu begegnen. Ihre ganze Hausarbeit, ja sogar die Wäsche besorgte die fast Sechzigjährige von nun an selber. Sie hungerte sich durch, bis ihr auf Grund ihres Kriegsanleihebesitzes eine bescheidene Rente zugesprochen wurde und der Verkauf eines Grundstückes ihrer Tante ein erträglicheres Leben ermöglichte. Seit 1908 lebte sie mit dieser Tante, Rosette Achenbach, der Schwester ihres Vaters, zusammen, diese besorgte das Kochen, sie selber den Haushalt. Gewiß hätte sie durch den Verkauf eines ihrer Grundstücke ihre Lage erleichtern können, aber dazu fand sie den Entschluß nicht. Sie fühlte es als Verpflichtung, den übernommenen Besitz zusammenzuhalten.
Der Kampf mit Hunger und Not hatte ihre Kraft gebrochen. Lange schon merkten das die, die ihr näher standen. Seit vergangenem Frühjahr nahm sie zusehends ab. Sie wehrte sich mit größter Energie gegen den Verfall. Eine ihr aufgezwungene ärztliche Untersuchung ergab die Hoffnungslosigkeit ihres Zustandes. Am 4. Juli ist sie sanft verschieden. Nur wenige Tage vorher, am 25. Juni, war auch die Tante Rosette einer Lungenentzündung im 83. Lebensjahre erlegen.
Auch ihr Leiden hatte „Tante Rosa“, wie sie von den meisten genannt wurde, in Größe getragen. Nicht lange vor ihrem Sterben hatte sie ihren gesamten Grundbesitz der Gemeinde Weidenau gegen eine lebenslängliche Rente übertragen. In der Zeit der größten Not war ihr das schon einmal nahegelegt worden. Aber sie schlug es ab. Doch die Sorge um die geliebte Tante, der man noch ein längeres Leben zugetraut hatte, drängte sie nun dazu.
Nun hat ein gütiges Geschick die beiden im Tode vereint. Das schöne Haus ist auf einmal leer geworden. Mit Wehmut gedenkt man der letzten schweren Jahre der guten Tante Rosa. Mit Befriedigung aber erfüllt der Gedanke, daß ihr wertvoller Grundbesitz in die öffentliche Hand übergegangen und damit der Spekulation entzogen ist. Der Gemeinde ist es dadurch möglich, wichtige Bedürfnisse des Verkehrs und Wohnungsbaues ohne die sonst bei solchen Angelegenheiten entstehenden Schwierigkeiten zu lösen. Es erwächst ihr aber auch die Pflicht, das Andenken Rosa Achenbachs zu pflegen, was sie bereits damit begonnen hat, daß sie die nach dem alten Sedanplatz führende Kampenstraße Rosa-Achenbach-Straße genannt hat. Insbesondere möchten wir der Gemeinde empfehlen, darüber zu wachen, daß das schöne Achenbachsche Haus als Wahrzeichen guter alter Bürgerlichkeit Weidenaus erhalten bleibt. Es gehört zu den wenigen Resten Alt-Weidenaus, die sich durch sicheren Geschmack vom Neuen vorteilhaft abheben, und seine Erhaltung ist für die Gemeinde angesichts der großen Vorteile bei der Übernahme des Achenbachschen Besitzes eine Ehrenpflicht.

Nachschrift: Leider ist sich die Mehrheit der alten Gemeindevertretung dieser Ehrenpflicht nicht bewusst geworden; denn noch kurz vor ihrer Auflösung hatte sie beschlossen, das Haus zu verkaufen. Die Gründe, die man hierfür angibt, sind nicht stichhaltig. Einsichtige Bürger halten es vielmehr für verfrüht, daß die Gemeinde einen durch seine Lage so wertvollen Besitz aus der Hand gibt, so lange für den Kampen noch keine festen Pläne vorliegen. Wer außerdem die Umstände kennt, unter denen die Gemeinde Besitzerin des Achenbachschen Anwesens geworden ist, ist peinlichst berührt von der Pietätlosigkeit, die sich in dem so eiligen Beschluß der alten Gemeindevertretung kundtut. Wir bitten daher die neue Gemeindevertretung um des Andenkens Rosa Achenbachs willen dem Verkaufe des Hauses  n i ch t  zuzustimmen. Nur in der Obhut der Gemeinde ist die ihm gebührende Pflege gewährleistet.

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