Wilhelm
W E Y E R

Artikel, aus:
Siegfried Kappe-Hardenberg: Im Kranz bewaldeter Höhen. Monographie des Wirtschaftsraumes Siegen – Olpe – Wittgenstein.
Herausgegeben vom Verkehrsverband Siegerland e.V., Siegen.
Dortmund 1955, S. 60–65

Das Heimatmuseum im Oberen Schloß
Von Dr. Wilhelm Weyer

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Ein Gang durch das Museum des Siegerlandes, das nach den Schäden, die der Bombenkrieg ihm zugefügt hat, in seinem alten Heim, dem 700 Jahre alten Oberen Schloß, in neuzeitlicher Weise schöner und sachgemäßer wieder eingerichtet ist, läßt die Frage entstehen, wie es zu dem gegenwärtigen Zustand gekommen ist.

Museen erwachsen aus dem Geschichtsbewußtsein eines Volkes. In Deutschland ist dieses durch die Romantik vor gut 100 Jahren geweckt worden. Es kam zunächst in der durch den Freiherrn vom Stein im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufenen Sammlung und Herausgabe der Geschichtsquellen Deutschlands, der Monumenta Germaniae Historica, und der aus dieser sich entwickelnden allgemeinen Geschichtsforschung zum Ausdruck. Bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ergab sich die Notwendigkeit, das Bild, das sie geschaffen hatte, durch die Aufhellung des Geschehens in den Einzelstaaten, ja in den kleinsten Gebieten Deutschlands zu ergänzen und zu vertiefen. Es entstanden in manchen Gegenden Geschichtsvereine, die sich dieser Aufgabe annahmen und die Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Landesgeschichte schufen. In den kleinen geographischen und geschichtlichen Räumen – das Siegerland ist ein solcher – fand diese ihre eigenartige Prägung in einer alle Äußerungen geschichtlichen Lebens umfassenden Heimatkunde.

In Siegen bildete sich 1879/80 der Verein für Urgeschichte und Altertumskunde in den Kreisen Siegen, Olpe, Wittgenstein und Altenkirchen, dessen Hauptleistung die Herausgabe des ersten Teiles des Siegener Urkundenbuches 1887 war. Geschichtliche Quellen sind aber nicht nur Urkunden, Briefe, Bücher, im weiteren Sinne Geschriebenes und Gedrucktes, sondern auch die dinglichen Zivilisations- und Kulturgüter aus der Vergangenheit, d.h. alles, was heute die Museen, insbesondere Heimatmuseen, sammeln und pflegen. Auch mit dieser Sammlung begann der Verein nach dem Vorbild des um die Mitte des vorigen Jahrhunderts mit neuer, gegen die überkommenen Kunstmuseen sich richtenden Problemstellung in Nürnberg geschaffenen Germanischen Museums sowie nach dem anderer örtlicher Museen, Altena, Gießen, Herford, Paderborn Witten (Güthling, „Fünfzig Jahre Siegerländer Heimatkunde“, in „Siegerland“ 28. Band S. 4), und wurde so den beiden Forderungen aller späteren Museumsarbeit gerecht, der Sammlung des verbliebenen Kulturgutes und seiner wissenschaftlichen Bearbeitung und Deutung durch die Geschichte.

Um 1890 erlosch die Tätigkeit des Vereins wieder. Antriebe von auswärts, die Bestände, die er gesammelt hatte, in einem Museum zu sichern, blieben ohne Erfolg, so etwa das Eingesandte eines Professors Dr. Fabricius (Kruse, „Das Museum des Siegerlandes“, in „Siegerland“ 4. Band S. 19-23) vom 15. Oktober 1892 in der Siegener Zeitung, in dem er programmatisch die Richtung für die Gründung und Entwicklung eines Siegener Heimatmuseums darlegte. Doch um 1900 hat Fabricius dem damaligen Oberlehrer am Siegener Realgymnasium, Dr. Eskuche, der mit Arbeiten zur Heimatkunde hervorgetreten war, bei einer Tagung in Berlin seine Gedanken nahebringen können und ihm den entscheidenden Antrieb gegeben, das Museum zunächst als Schulmuseum des Realgymnasiums ins Leben zu rufen. Das konnte 1901 mit bescheidenen, von den Stadtverordneten bewilligten Mitteln geschehen. 1905 wurde ein Teil der Bestände in einige von Scheppig eingerichtete Räume des Oberen Schlosses übergeführt und der Offentlichkeit zugänglich gemacht. Stadtbaurat Scheppig hat dieses Museum eine Reihe von Jahren in vorbildlicher Weise betreut und er weitert und auch später stets gefördert. 1905 beginnt also das eigentliche Museum des Siegerlandes, wenn auch zunächst noch nicht unter diesem Namen. Es hat sich dann in den nächsten drei Jahrzehnten das ganze Obere Schloß, das selbst ein „Museumsstück“ genannt werden könnte, erobert und damit, wie in manchen anderen Städten, z.B. Altena, auch die ihm gemäße Unterkunft gefunden, so daß hier Gehalt und Gestalt zu einer wunderbaren Einheit verschmolzen sind.

1911 gründeten ältere Mitglieder des ehemaligen Vereins für Urgeschichte und Altertumskunde zusammen mit jüngeren Heimatfreunden den Verein für Heimatkunde und Heimatschutz im Siegerland samt Nachbargebieten, der sich seit 1950 Siegerländer Heimatverein nennt. Seine Satzungen nehmen die Ziele des alten Vereins wieder auf, erweitern sie aber im Sinne einer alle Äußerungen geschichtlichen Lebens umfassenden Heimatkunde und der zu Beginn des 20. Jahrhunderts einsetzenden Heimatschutzbewegung und ebenso der Förderung der Sammlungen des Museums. In die Verwaltung des Vereins der Stadtbaurat Scheppig, Kommerzienrat Weinlig, Dipl. Ing. Frite Menne angehörten, wurde auch der junge Oberlehrer an der Höheren Mädchenschule Dr. Hans Kruse berufen und zum Schriftführer gewählt. Er war durch eine wertvolle Dokterarbeit über die Forstwirtschaft und Industrie im ehemaligen Fürstentum Nassau-Siegen hervorgetreten, wurde nun die treibende Kraft in der Entwicklung des Heimatvereins und des Museums und brachte beide bis zu seinem frühen Tode am 27. September 1941 zu außerordentlicher Entfaltung und Anerkennung auch über die Grenzen des Siegerlandes hinaus, 1927 wurde er von seinem Schulamt befreit und durch die Stadt Siegen zum hauptamtlichen Direktor des Museums berufen, für das er nun seine ganze Kraft einsetzen konnte.

Dr. Kruse war am 22. April 1882 in Iserlohn geboren und entstammte mütterlicherseits dem Singerländer Theologen- und Beamtengeschlecht der Achenbachs, väterlicherseits einem handwerklich, kaufmännisch und zugleich wissenschaftlich tüchtigen südwestfälisch-märkischen. (Boettger, Gedenkrede auf Dr. Kruse, in „Siegerland“ 21. Band S. 17). Seine Jugend verbrachte er nach dem trüben Tode des Vaters bis zur Reifeprüfing in Dillenburg und wuchs hier in die Tradition des Hauses Nassau hinein, auf die ihn nach einer kurzen Lehre in einer Bank auch sein Studium der Geschichte, Germanistik and Theologie führte, das er mit seiner Doktorarbeit krönte und das ihn im alten Gebiet der Nassauer, im Siegerland, seine dienstlich Tätigkeit suchen ließ. Aus dieser wuchs er in die Arbeit des Heimatvereins und des Museums hinein. Bereits 1914 wurde ihm die Aufgabe übertragen, zur 100jährige Wiederkehr dr Zugehörigkeit des Siegerlandes zu Preußen eine Festschrift zu schreiben. Es wurde ein Buch von 295 Seites daraus, das erste Standardwerk der Siegerländer Heimatkunde nach Achenbach. „Das Siegerland unter preußischer Herrschaft 1815–1915“ betitelte er es. Nach Inhalt und Form ist es sein bestes Werk, in dem er ein mannigfaltiges breites und vollständiges Bild der Entwicklung des Siegerlandes in diesem Zeitraum auf politischem, wirtschaftlichem, religiös-kirchlichem, gesellschaftlichem und kulturellem Gebiet in straffem Aufbau, klarem Stil, weiser Sichtung und Gestaltung des umfangreichen Stoffes gibt. Für die Arbeit im Museum bedeutet es Grundlage und Richtung, in der sich Sammlung und Bearbeitung des Museumsgutes des 19. Jahrhunderts zu vollziehen hat. 1922 folgten die „Deutschen Briefe aus Mexiko“, 1924 die ebenfalls für den Ausbau des Museums mannigfache Anregung liefernde Festschrift zur 700. Wiederkehr der Gründung der Stadt Siegen, eine Sammlung von Beiträgen einer Anzahl Heimatkundler, 1934 die Monographie Wilhelm von Oranien und Anna von Sachsen, die endgültig Siegen als Geburtsort von Rubens und die Pflege seines Andenkens im Museum als berechtigt erwies, 1935 die Geschichte des höheren Schulwesens in Siegen. Als Schriftführer des Heimatvereins gab er in 50jährigem Wirken 21 Bände von dessen Zeitschrift „Siegerland“ heraus, die die wissenschaftliche Anerkennung der benachbarten Universitäten fand, weil sie viele wertvolle Beiträge von Dr. Kruse und anderen enthält, die die Geschichte des Siegerlandes aufhellen. Sie dienen ebenfalls der geistigen Grundlage des Museums und berichten laufend über seine Entwicklung, desgleichen gab er seit 1920 den von Ihm ins Leben gerufenen Siegerländer Heimatkalender (23 Jahrgänge) heraus, der vorbildlich für die anderer Gebiete geworden ist.

Im Sinne der wissenschaftlichen Bearbeitung des Museumsgutes sind auch die vom Verein herausgegebenen und von seinem Schriftführer Dr. Kruse angeregten and geförderten wisseschaftlichen Buchveröffentlichungen zu nennen, Schmoeckels „Siegerländer Bauernhaus“, Heinzerlings „Die Siedlungen des Kreises Siegen“, Heinzetting-Reuters „Siegerländer Wörterbuch“, Weyers „Fürst Wilhelm Ludwig Georg Sayn-Wittgenstein-Hohenstein“, Kippenbergers „Philipp Soldan zum Frankenberg“, Balds „Territorialgeschichte des Fürstentums Nassau-Siegen“ und manche andere. Er wusste ältere Forscher zu fruchtbarer Mitarbeit zu gewinnen und aus der akademischen Jugend sich den Nachwuchs heranzuziehen und so sein Werk nach menschlichem Ermessen zu sichern. Doch hat der zweite Weltkrieg alle Heimatkundler der jüngeren Generation hinweggerafft.

Dr. Kruse machte das Museum und den in ihm beheimateten Verein zu einer hervorragenden Bildungsstätte und zu einem geistigen Mittelpunkt des gesamten Siegerlandes und durch die Pflege der bildenden Künste durch Ausstellung und der Musik durch Konzerte auch zu einem kulturellen. Liebe und Verehrung erwarb er sich durch sein gütiges Wesen im ganzen Siegerland. Die räumlichen Voraussetzungen für die Ausweitung der Museumsarbeit mußte er sich in zähem Ringen mit den städtischen Körperschaften und der Verwaltung erst schaffen. Die Widerstände erschienen oft unüberwindlich. Es gelang ihm, zunächst den Steinbau des Oberen Schlosses freizubekommen und in ihm 1924 die Ausstellung zur 700-Jahr-Feier der Stadt Siegen, 1927 eine Rubensausstellung, 1930 eine Reformationsschau und einige kleinere durchzuführen. 1937 konnte er aus Anlaß des für 1938 in Siegen vorgesehenen Westfalentages die Verantwortlichen der Stadt dafür gewinnen, den Fachwerkbau, in dem sich das Anna-Helenen-Stift befand, für eine Erweiterung des Museums freizumachen, nachdem er die für den Um- und Ausbau erforderlichen Mittel durch Spenden der Siegerländer Wirtschaft und der Ihr befreundeten westfälischen Großindustrie hatte bereitstellen können, 1938 konnte er diese Spender zum „Verein der Freunde und Förderer des Museums des Siegerlandes (Museumsverein)“ zusammenschließen, der für den damaligen Umbau 112 000 RM aufbrachte und in der Folgezeit durch namhafte Beiträge und Spenden bis zum Kriegsausbruch weitere 36 000 RM für den Kauf von Museumsstücken zur Verfügung stellte, ein Mäzenatentum, das heute leider noch nicht wieder erreicht ist. Gleichzeitig mit dem Umbau ließ der Siegerländer Eisensteinverein als Vertretung des Siegerländer Bergbaus das schon länger geplante Schaubergwerk unter dem Schloß und dem Schloßhof anlegen, dessen Fertigstellung sich allerdings wegen der Schwierigkeit der Arbeiten längere Zet hinauszog.

Als der Westfalentag im Juli 1938 stattfand, umfaßte das Museum 66 Räume, von denen 30 der Aufstellung der gesammelten Gegenstände dienten, die zum erstenmal systematisch erfolgen konnte. Neben der Bauarbeit, die Stadtbaurat Scheppig in stetigem Zusammenwirken mit Dr. Kruse und mit Einsatz fast der gesamten Handwerkerschaft Siegens und seiner Umgebung in drei Monaten durchführen mußte, war die von Dr. Kruse seit einem Jahr geplante Ausstellung „Der deutsche Berg- und Hüttenmann in Kunst, Kulturgeschichte und Brauchtum“ aufzubauen. Es war die umfangreichste und bedeutsamste, die das Museum bis heute veranstaltet hat und die in dieser Thematik überhaupt je in Deutschland stattgefunden hat.

Außer den üblichen Abteilungen eines Heimatmuseums, der volkskundlichen (bäuerliche Geräte, Möbel, Küchengeräte, Trachten u.a.), der stadtgeschichtlichen, der allgemen gewerblichen (schmiedeeiserne Zinn-, Kupfer, Messing, Keramikgegenstände), Waffen der Abteilung bedeutender Siegerländer (Jung-Stilling, Diesterweg, v. Achenbach u.a.) einer kleinen industriegeschichtlichen, einer bedeutenderen geologisch mineralogischen (als zum Bergbau gehörigi), enthielt des Museum auch einige, die über das Siegerland hinaus Bedeutung hatten: eine vorgeschichtliche mit dem einzigartigen Schmelzofen aus der La-Tene-Zeit (etwa 250 Jahre v. Chr.), eine der umfangreichsten Sammlungen gußeiserner Ofen und Kaminplatten Deutschlands aus der Renaissance, dem Barock, Rokoko und den Schlössern Philippstal und Barchfeld in Hessen, darunter Biedermeier, ergänzt durch hervorragende Stücke Berliner und auch der Salon der Ulrike von Levetzow. Das Museum förderte Gleiwitzer Feineisengusses (Broschen, Armbänder, Kreuze, Teller u.a.), die größte deutsche Sammlung von Bildnissen nassauischer und oranischer Grafen und Fürsten der Ottonischen Linie, eine umfangreiche Sammlung von Siegener und Siegerländer Aquarellen der beiden Siegerländer Maler Jakob Scheiner (1820–1911) und Wilhelm Scheiner (1852–1922), eine Rubensabteilung mit einer großen Zahl von Graphiken und einem Originalgemälde sowie einigen wertvollen Kopien von Gemälden des Meisters und einigen Bildern niederländischer Maler aus dem 16. und 17. Jahrhundert, eine Sammlung von Möbeln aus dem Barock und dem Biedermeier aus Siegen und den Schlössern Philippstal und Barchfeld in Hessen, darunter auch der Salon der Ulrike von Levetzow. Das Museum förderte auch Siegerländer Künstler.

Mit diesem Bestand ging es in den zweiten Weltkrieg, der zunächst wegen der ungeklärten strategischen Lage im Westen die Schließung und die Auslagerung der wichtigsten Bestände notwendig machte. Das Museum konnte aber nach dem Frankreichfeldzug wieder eingerichtet und eröffnet werden, bis es, als der Bombenkrieg einsetzte, endgültig geschlossen und das Museumsgut ausgelagert werden mußte. Nach dem Tode Dr. Kruses Ende 1941 übernahm Oberstudienrat Dr. h.c. Boettger, sein langjähriger Freund und Mitarbeiter in der Heimatkunde, für einige Zeit nebenamtlich die Leitung. Bis Kriegsende 1945 wurde es dann von der Bibliothekarin M. L. Lang betreut, die sich um die sachgemäße Auslagerung des Museumsgutes verdient gemacht hat, so daß von diesem zunächst nur ein verhältnismätig kleiner Teil in Verlust geriet. Sie hat auch, als des Museumsgebäude, das Obere Schloß, am 16. Dezember 1944 von Brandbomben getroffen wurde, einen größeren Schaden verhüten können. Ein solcher ist dann doch noch durch die Einwirkung von Regen und Schne eingetreten, weil erst nach fast einem Jahr ein Notdach geschaffen werden konnte, so daß vom Steinbau das Dach, die welsche Haube (Turm) und das gesamte Dachgeschoß zerstört wurden und auch noch das darunter liegende Geschoß so schwere Schäden ertitt, daß auch dieses in den Wiederaufbau einbezogen und mit den Decken des nächsten Geschosses erneuert werden mußte. Nur die dicken Außenmauern waren unbeschädigt geblieben. Um die Errichtung des Notdaches hatte sich Bergassessor Carl Dresler aus Eiserfeld, der Vorsitzende des Heimat- und des Museumsvereins, so wie der zum einstweiligen Leiter bestellte Privatwissenschaftler Noss aus Eisern verdient gemacht. Von Ende 1946 bis Frühjahr 1946 leitete der Verfasser das Museum ebenfalls nebenamtlich. Der Wiederaufban setzte Anfang 1947 ein. Im Mai bereits wurde es zum Teil wiedereröffnet. Die weiteren Wiederaufbauarbeiten zogen sich dann etwas schleppend hin, weil die Stadt erst 1953 in der Lage war, die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Zur 350. Wiederkehr des Geburtstages von Fürst Johann Moritz am 16. Juni 1954 kamen sie zu einem gewissen Abschluß. Die Gesamtkosten der Wiederherstellung beliefen sich auf über eine Viertelmillion, von der der Verein der Freunde und Förderer etwa 60 000 DM aufgebracht hat. Die Aufstellung des Museumsgutes, von dem während der langen Auslagerung leider noch ein nicht unbeträchtlicher Teil durch Feuchtigkeit, Staub, ungeeignete Temperaturen und mangelnde Pflege zu Bruch gegangen war, erfolgte durch den 1949 zum hauptamtlichen Museumsdirektor berufenen Reichsarchivrat Dr. Güthling. Nach einstimmigem Urteil zuständiger Besucher sind die Ausstattung der Innenräume, ihre Aufteilung und die Aufstellung der Sammlungen wohlgeraten, so daß das Museum jetzt eine bedeutsame Sehenswürdigkeit der Stadt Siegen ist, sowohl was das Gebäude, seine herrliche Lage und seine Umgebung als auch seine Bestände anbelangt.

Schon die Einrichtung des Museums durch Dr. Kruse ließ die weiteren Entwicklungsmöglichkeiten erkennen. Kultur und Zivilisation des Siegerlandes waren in der Vergangenheit nicht so umfassend und hochstehend, daß sie ein so großes Gebäude mit bedeutsamen Zeugnissen hätten füllen können, die höheren künstlerischen Ansprüchen genügen. Die Bedeutung des Siegerlandes lag immer mehr auf wirtschaftlichem Gebiet, auf dem es Hervorragendes geleistet hat. Auch sind die guten Stücke etwa einer Wohnkultur oder von Hausgeräten und Volkskunst fast alle aufgekauft worden und über die Grenzen des Ländchens gegangen. Die Sammeltätigkeit des Museums ist dadurch eingeengt. Es muß daher seine Ziele weiterspannen, ohne jedoch dabei die heimatliche Beziehung preiszugeben. Die von Dr. Kruse geschaffenen Abteilungen, die bereits damals über das Siegerland hinauswirkten, sind auch weiterhin ausbaufähig. In einigen ist das schon geschehen, so in der Vorgeschichte, der seit Dr. Kruses Tod durch Ausgrabungen so viel zugewachsen ist – die Geschichte des Siegerlandes hat die Vorgeschichte überdies vom 14. Jahrhundert über ein Jahrtausend rückwärts aufhellen können –, daß Fachleute sie heute schon als hervorragend bezeichnen und eine besondere fachliche Betreuung verlangen, so die der Rubenserinnerungen, der der Verein der Freunde und Förderer zur Wiedereröffnung des Museums 1954 die „Caritas Romana“ von Rubens als Dauerleihgabe zugeführt hat, die das wertvollste Stück der Sammlungen ist und zu weiteren Erwerbungen reizt. Der Verein hat seit der Währungsreform bereits wieder für insgesamt 43 000 DM Museumsstücke gekauft.

Ausbaufähig und dringend notwendig ist außerdem die Abteilung Industriegeschichte des Siegerlandes, die noch in den Anflängen steckt. Sie könnte zu einem Industriemuseum des Siegerlandes, mit Hilfe des Landes oder Bundes such zu einem gesamtdeutschen Eisenmuseum entwickelt werden. Welche Fülle von Material wäre da für die einzelnen Epochen der industriellen Entwicklung, auch bei der Beschränkung auf das Siegerland, zu bergen, bzw. in Modellen zu gestalten, für die ältere der Waldschmiede bis zum 14. Jahrhundert, dann für die nächste der Eisenhütten und -hämmer bis ins 19. Jahrhundert, für die dritte vom Hochofenbetrieb mit Koks bis zum Abbau der Eisenerzeugung zu Beginn des 20. Jahrhunderts und schließlich für letzte des Überganges zu der Eisenverarbeitung und der Entstehung der andern Industrien im Siegerland! Der Ausbau dieser Abteilung, die in besonderem Maße das Wesen und die Leistung der Siegerländer erkennen ließe, wäre eine wundervolle Gelegenheit zur Selbstdarstellung der Siegerländer Wirtschaft. In ähnlichem Sinne könnten die bergbauliche Abteilung und das Bergwerk erweitert werden. Für dieses hat die Vertretung des Bergbaus schon einen namhaften Betrag bereitgestellt und wird demnächst die entsprechenden Arbeiten veranlassen.

Völlig neu könnte eine geographische und zoologisch-botanische Abteilung entstehen. Die biologische müßte auch das weite Feld des nun bald „museel“ werdenden Haubergs darstellen. Auch in den Abteilungen Stadtgeschichte und Geschichte der Nassauer und Oranier ist noch manches zu ergänzen, und ferner müßte das Museum die Siegerländer Künstler in großerem Maße fördern, wenn die Stadt hierfür keine andere Möglichkeit schaffen kann.

Da Museum und Geschichte sich ergänzen und einander bedingen, dürfte die Verbindung, sowohl die sachliche wie die zwischen dem Museum und den diese Geschichtsforschung ermöglichenden städtischen Einrichtungen, dem Stadtarchiv und der Stadtbücherei einerseits und dem Träger dieser Forschung, dem Heimatverein anderseits, wie sie Dr. Kruse als Gesamtwerk geschaffen hat, nicht wieder gelöst werden. Alle diese Einrichtungen bilden eine geistige Einheit, deren Zerreißung Leistungen, wie sie in der Vergangenheit erzielt worden sind, unmöglich machen würde.

Die Heimatkunde weist schon wieder sehr bedeutsame Leistungen auf, so die „Siedlungsgeschichte des Siegerlandes“ von Boettger, ein Standardwerk, und seine Weidenauer Ortsgeschichte „Auf den Hütten“, Güthlings „Siegerländer Lebensbilder“, seine „Vermessung des Siegerlandes durch Erich Philipp Ploennjes“ (1672–1751), seine Veröffentlichungen historischer Landschaftsbilder aus dem Siegtal und dem Siegerland, seine Zusammenstellung der „heimatkundlichen Bestände der Stadtbücherei Siegen“ und eine Anzahl kleinerer Arbeiten, Ludwigs „Flora des Siegerlandes“, Rings Ortsgeschichte des Dorfes Alchen, fünf Jahrgänge der Zeitschrift „Siegerland“.

Wie unter der Leitung von Dr. Kruse hat das Museum auch nach seiner teilweisen Wiedereröffnung 1947 und seiner gänzlichen 1954 Bildungsaufgaben durch Veranstaltung von Vorträgen, Konzerten und Ausstellungen zu erfüllen versucht. Sie hatten den Zweck, die Museumsarbeit zu verlebendigen und sie des rein musealen, historisch-historistischen Charakters zu entkleiden. Demselben Zweck dienten auch die drei Jahrgänge Museumskalender, die der Verein der Freunde und Förderer in Gemeinschaft mit dem Museum herausgegeben hat, die je 26 Museumsgegenstände mit erläuterndem Text bringen und die voraussichtlich fortgesetzt werden.

Für beide Aufgaben des Museums, die Pflege des überkommenen Zivilisations- und Kulturgutes aus nah und fern und für die Herstellung seiner Beziehung zum heutigen Leben bedürfen das Museumsgebäude und der zu ihm gehörige gesamte Schloßbezirk, aber auch die Verwaltung, des weiteren Ausbaus. Denn wird der Schloßbezirk mit seiner Abgeschiedenheit, seiner herrlichen Aussicht zu einer Stätte geistiger Betätigung, seelischer Erhebung und körperlicher Entspannun werden, wie sie weit und breit nicht zu finden ist und zu der die Menschen aus nah und fern strömen.

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